Hilfe aus Teufen: Bewegende Momente der Dankbarkeit

07.04.2016 | Erich Gmünder
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Zur Delegation aus der Pfarrei Teufen-Bühler-Stein gehört auch Ingeborg Schmid. Fotos: Stefan Staub

Seit Dienstag weilt eine Delegation aus der Schweiz um den Initianten, Stefan Staub, in Dohuk, einer Stadt in Nordirak, die zur Autonomen Region Kurdistan gehört. Die Gruppe wird in den nächsten Tagen die Verteilung der Hilfsgüter aus dem Rotbachtal begleiten. Wir konnten den Pfarreileiter aus Teufen am Mittwoch am späten Abend via WhatsApp kontaktieren.

Interview: Erich Gmünder

Stefan Staub, Sie und Ihre Gruppe haben am zweiten Tag Ihres Aufenthalts bereits 2500 Lebensmittelpakete an notleidende Familien verteilt. Wie wurde diese Hilfe aufgenommen, wie reagierten die Leute?

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Schlange stehen für ein Lebensmittelpaket.

Zum Teil völlig ungläubig, oft mit grosser Zurückhaltung, dann aber auch mit grosser Freude, aber auch mit Beschämung.  Es ist ja nicht immer einfach, solche Hilfe anzunehmen. Man muss sich vorstellen, das sind zum grossen Teil Menschen aus dem syrischen und irakischen Mittelstand, Menschen wie du und ich, die nun in Not geraten sind.

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Was hat es in diesen Paketen?

3 Liter Öl, Reis, Tee, Trockenfrüchte, Couscous (ähnlich wie Hirse), Zucker, Mehl – einfach das Notwendigste, was es zum Überleben braucht.

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Waren Sie selber emotional auf die Reaktionen vorbereitet?

Wir haben uns schon unsere Gedanken gemacht, aber vorbereitet waren wir natürlich nicht wirklich. Als wir ankamen, waren die Lebensmittelpakete schon bereitgestellt worden. Sie haben nur noch auf uns gewartet mit dem Verteilen, die Leute sind 3 Stunden Schlange gestanden. Bevor wir kamen, wurde nichts heraus gegeben.

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Danach wurden die Lebensmittelpakete nach einer genauen Rationierungsliste verteilt, alles wurde genau kontrolliert, damit niemand benachteiligt wird.

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Die Empfänger mussten sich auf der Liste eintragen und konnten dann mit einem Schein das Paket entgegennehmen. Es war fast beschämend für uns: Wir lösten mit dem wenigen, was wir mitbrachten, soviel Dankbarkeit, so viele Emotionen aus, und hörten dann, was die Leute schon alles durchmachen mussten.

„Wir alle sind tief berührt von der Solidarität der Kurden“

Warum beschämend?

Es ist schon so, dass Kurdistan vergessen ist, es ist nicht im Fokus von Europa, obwohl es eigentlich eine Insel ist in diesem von der IS umkämpften Gebiet, und das haben wir an der Front auch gesehen, die haben ein Motto: die Peschmerga kämpfen für die Familie, für Kurdistan und für die Flüchtlinge. Sie geben ihr Leben, und wir bringen ja wirklich so wenig mit und meinen, noch stolz darauf sein zu müssen.

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Wie schätzen Sie die Situation in den Flüchtlingslagern ein, die Sie besucht haben?

Es ist alles auffallend gut strukturiert, durch die lokalen Organisationen vor Ort: Es gibt Schulen, und die ärztliche Versorgung ist auf einem erstaunlich hohen Niveau, aber die Stimmung selber ist trostlos, beklemmend. Nicht weil die Menschen Angst haben, dass sie bedroht werden, aber weil sie nicht wissen, wann sie in ihre Heimatstadt Mossul zurückkehren können.

Mossul ist die zweitgrösste irakische Stadt und fest in IS-Hand. Sie wissen nicht, wann die Stadt zurückerobert werden kann, und was die IS alles zerstört haben wird, wenn sie endlich aus der Stadt vertrieben werden können. Aus nächster Nähe – die nordirakische Stadt liegt in 25 Kilometer Luftdistanz – mit anzusehen und anzuhören, wie ihre Heimat kaputt geht, das ist eine Trostlosigkeit.

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Konnten Sie selber mit Flüchtlingen reden?

Wir waren in einem Zelt bei einer Familie aus Mossul. Sieben bis acht Personen wohnen im gleichen Zelt, sie leben, schlafen, essen, verbringen die Freizeit hier drin. Sie erzählten uns von ihrer Flucht, wie die IS gekommen ist, alle vertrieben hat. Sie durften nichts mitnehmen, nur das, was sie gerade an hatten, oder sie wären gerade umgebracht worden. Sie durften nicht einmal warten, bis der Vater von der Arbeit nach Hause kam, mussten einfach verschwinden, sofort. Viele mussten ihre Verwandten zurücklassen, wissen nun nicht, wo sie sind ober ob sie überhaupt noch am Leben sind, haben keinen Kontakt. Mossul ist zwar wie gesagt nahe, aber wie abgeschnitten, es gibt keine Chance, um Informationen zu erhalten, was dort läuft und geht. Und das prägt die Leute.

Der zweite Konvoi mit drei Lastwagen voller Hilfsgüter ist Ihnen voraus gefahren. Hat es diesmal mit dem Grenzübertritt geklappt und wann werden diese Güter verteilt?

Ja, die Sattelschlepper haben die türkische Grenze passiert und kommen am Donnerstag über die Grenze nach Nordirak. Wir treffen sie in einem riesigen Lagerhaus in Dohuk. Dort wird alles ausgeladen und von dort aus erfolgt dann die Feinverteilung.

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Auf den Fotos, die Sie uns geschickt haben, ist zu sehen, dass Sie auch Stellungen der Peschmerga, der kurdischen Armee, besucht haben. Wie ist die Stimmung dort?

Bedrückend! Es herrscht eine unheimliche Ruhe, die Soldaten sind unterbewaffnet.

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Sie verfügen nur über ein paar alte Kalaschnikows und ein russisches Maschinengewehr von 1974, sowie eine Panzerfaust – für  1200 Soldaten auf diesem Grenzabschnitt, während die IS auf der anderen Gegenseite über moderne Waffen verfügt, allerdings nicht weiss, wie sie sie bedienen soll, da es viele Jugendliche hat, die dort mitmachen. Die Peschmerga erzählten uns, dass letzte Woche drei ihrer Kollegen in einem Kampf gefangen genommen und bestialisch geköpft wurden.

Was ist das berührendste Erlebnis des ersten Tages auf Ihrer Mission?

Die vielen Kinder, ihre Freude, haben mich sehr bewegt. Man denkt an die eigenen Kinder und fragt sich, was diese Kinder hier für eine Zukunft haben: Sie können nichts tun, kriegen kaum je Arbeit. Es gibt ja auch für die Kurden zuwenig Arbeit, da Kurdistan selber ein armes Land ist. Sehr berührt hat mich aber auch die Solidarität mit den Flüchtlingen: Wir reden hier von 5 Mio. Einwohnern und 2 Mio. Flüchtlingen, die sie einfach mit versorgen, obwohl sie selber relativ wenig haben.

Wie reagieren Ihre Begleiter auf die Situation hier vor Ort?

Es geht allen gleich, wir  sind alle berührt von der Solidaritä der Kurden, von der Struktur in den Camps, dass sich die Leute nicht hängenlassen, und vom Stolz dieser Peschmerga, welche im wahrsten Sinne des Wortes ihr Herzblut geben, notabene ohne Sold oder Ferien.

Was möchten Sie uns zuhause für eine Botschaft übermitteln?

Das, was wir in der Schweiz diskutieren und aufwenden, wäre hier unten mannigfach mehr wert. Die Leute hier wollen nicht fliehen nach Europa, sie wollen alle nur etwas: möglichst bald nach Hause. Doch sie erhalten null Unterstützung.

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Meine Botschaft wäre, dass unsere politischen Kräfte Wege finden können, um Kurdistan, die Menschen hier vor Ort zu unterstützen, mit konkreter Hilfe logistischer Art oder wie auch immer.  Wir haben bis jetzt keinen UNO-Mitarbeiter gesehen, wir haben keinen Westeuropäer gesehen, niemanden. Und wir waren jetzt in drei Camps. Die Kurden sind mit ihren Flüchtlingen sich selber überlassen, so unser Eindruck.

Wie geht es weiter?

Weil die Not so gross ist, machen wir am Donnerstag und Freitag nochmals einen Grosseinkauf, und verteilen je 2500 Lebensmittelpakete,  Und wir bereiten auch noch einen Besuch vor in Mossuldamm, wo eine Frauen-Peschmerga-Brigade ihren Einsatz leistet.

Die Begleitgruppe

setzt sich zusammen aus Ueli Schleuniger (Teufen), Ingeborg Schmid (Bühler), Nicole Schilling (St.Gallen), Patrik Kliebens (Ganterschwil), Christopher Gilb, Delegierter der Tagblatt-Medien (Herisau), Christian Zeier, freier Journalist (Bern), Huzhiar Adil, Sekretär der Kurdischen Vertretung und Übersetzer (Bern) sowie Stefan Staub, Pfarreileiter (Teufen). Die Reise der Begleitgruppe dauert bis zum 12. April. Auf www.tposcht.ch wird regelmässig aus dem Einsatzland berichtet.

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