Ada und Nara Büchel leben seit 50 Jahren in der Fabrik am Goldibach

01.09.2013 | Erich Gmünder
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Das Haus neben der historischen Brücke über den Goldibach. Fotos: Erich Gmünder

TP 7/2013

Das Haus an der Göbsistrasse feiert den 200. Geburtstag, und seit genau 50 Jahren ist es für die Familie Büchel Wohn- und Arbeitsort.

Erich Gmünder

Ada Büchel-Magro trägt – zusammen mit ihrer Tochter Nara – Sorge zum denkmalgeschützten Haus. Sieben Wohnungen und ein Fotoatelier sind darin untergebracht. Alle paar Jahre wird ein Teil restauriert, immer in Absprache mit dem Denkmalschutz. Erst gerade dieses Jahr wurden alle Fenster ersetzt.

Ada und Kurt Büchel zogen 1963 in das Haus. Die Familie musste dafür ein liebgewordenes Bauernhaus in Stein aufgeben. Fabrikant Jakob Alder, der Eigentümer, wollte es so. «Entweder wohnt ihr auch in diesem Haus, oder ich vermiete das Atelier anderweitig», lautete die Bedingung.

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Erinnerungen an den Grafiker Kurt Büchel. Foto: Archiv Büchel

Der Grafiker und Fachlehrer Kurt Büchel hatte eben den Auftrag seines Lebens erhalten. In einem Wettbewerb zusammen mit Remy Nüesch gewann er eine Ausschreibung für einen der sieben Sektoren der Expo 64, «Feld und Wald». Für die Realisierung des Ausstellungsteils beschäftigten die beiden zeitweise bis zu zehn Mitarbeitende: Architekten, Kunstmaler, Grafiker, Dekorateure, Lehrlinge, Praktikanten. Und diese brauchten Platz.

Nara war damals 9 Jahre alt. Der Umzug vom überschaubaren Dorf Stein nach Teufen war für sie in diesem Alter schwierig. Als Einzelkind, mit einer italienischen Mutter und dazu noch mit einem Künstler als Vater, begegnete sie manchen Vorurteilen. Sie genoss aber das rege Treiben, das die nächsten beiden Jahre im neuen Zuhause herrschte – fast Tag und Nacht wurde gearbeitet, diskutiert, um Lösungen gerungen – und gemeinsam gegessen.fabrik am goldibach ada nara buechel (4)

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Ada und Nara Büchel haben sich die Erhaltung der alten Bausubstanz zur Lebensaufgabe gemacht.

Ada Büchel-Magro, ganz italienische Mamma, hatte bis zu zehn Personen am Tisch. Unter den Künstlern waren Leute, deren Namen heute einen speziellen Klang haben: zwei angehende junge Künstler namens Hans Schweizer und Jost Blöchlinger, ein Lehrling namens Jules Kaeser.

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Und ebenfalls ein und aus ging die Schwester von Ada, Amelia Magro, die sich später als Appenzeller Fotografin einen Namen machte. (Nara Büchel betreut den Nachlass des fotografischen Werkes von Amelia Magro). Geleitet wurde das Team vom Grafikerduo Kurt Büchel und Remy Nüesch.

Hier im Atelier wurden die Ideen ausgeheckt, Pläne gezeichnet und später eins zu eins umgesetzt. Die Ausstellungsteile wurden schliesslich mit grossen Lastwagen nach Lausanne gefahren. Wie Ada als kaum 20-jährige Schneiderin aus der norditalienischen Provinz Treviso anfangs der 60er- Jahre in die Schweiz kam und ihren künftigen Mann Kurt kennenlernte, ist eine eigene Geschichte – ein Stück Immigrationsgeschichte (Tüüfner Chopf TP 7/2013).

Wie die junge Familie schliesslich das historische Haus an der geschwungenen Steinbrücke kaufen konnte, wieder eine andere. Fest steht, dass es andere Kaufinteressenten gab, die mehr Geld hatten. Dem Eigentümer Jakob Alder aber war es ein Anliegen, dass das Haus von Leuten mit einer künstlerischen Ader belebt wurde. Und dass hier ein Teil der Expo 64 entstand, erfüllte ihn mit Stolz und Freude.

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Nara Büchel inmitten der Sammlung Amelia Magro, die sie betreut.

www.ameliamagro.ch

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Hans Schweizer erinnert sich zusammen mit Ada Büchel an die bewegten 60er-Jahre in der alten Fabrik am Goldibach

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Das Bild im Hintergrund hat Hans Schweizer in seiner Zeit gemalt, als er selber in der Fabrik am Goldibach wohnte: Es zeigt die damaligen Bewohner.

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Aus der Frühzeit der Fabrik am Goldibach

Thomas Fuchs

Das Löwenwappen mit den Initialen HJZ und die Jahreszahl 1813 im Schlussstein des Hauptportals erinnern an die Fertigstellung der Fabrik am Goldibach. Bauherr der «ersten und einzigen» (so ein Dokument von 1822 im Knopf des Teufner Kirchturmes) Spinnerei in Teufen war Landesseckelmeister Hans Jakob Zürcher (1763–1847).

Erst Spinnerei, dann Papierfabrik

Beim Erwerb des an der alten Landstrasse nach Gais gelegenen Bauplatzes musste sich Zürcher verpflichten, dort «zu keinen Zeiten weder eine Wassersäge, Mühle, Relle, Breche u. dergleichen» noch «ein Wirts- oder Grempelhaus» zu errichten. Der Verkäufer betrieb diese Gewerbe nämlich auf der gegenüberliegenden Strassenseite und schützte sich so vor unliebsamer Konkurrenz.

Die Erstellung der neuen Spinnerei erfolgte vergleichsweise spät. Zuvor waren solche Betriebe in Herisau (1792), Gais (1802), Trogen (1805), Schönengrund (ca. 1810) und Bühler errichtet worden. Gearbeitet wurde am Goldibach wohl, wie in der Zellweger‘schen Spinnerei in Trogen, mit sogenannten Water-Maschinen. Die Antriebskraft lieferte ein Wasserrad. Für das neue Gebäude wurde der Name «Fabrik» gebräuchlich.

Nach dem Ende von Napoleons Kontinentalsperre verschlechterte sich ab 1816 die Situation der Spinnereien in der Schweiz rasch. Der Konkurrenz des billigen englischen Garnes widerstanden nur nach dortigem Vorbild organisierte Grossbetriebe, die über grosse Wasserkraftreserven für den Antrieb und das  Erneuerung und Verbesserung des Maschinenparks verfügten. Beides fehlte im Appenzellerland. Die meisten einheimischen Spinnereien gingen ein.

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Die Fabrik am Goldibach um 1925. Sammlung Werner Holderegger

Das grosse Spinnereigebäude in der Göbsi wurde von 1823 bis 1838 als Papierfabrik genutzt. An der Einmündung des Goldibaches in den Rotbach wurde ein zusätzliches Gebäude für die Papierherstellung erstellt.

Weberei und Stickerei

Aus der Konkursmasse des aus Winterthur stammenden Papierfabrikanten Braunwalder ersteigerte dann Hans Jakob Zürcher 1838 «seine» Fabrik wieder. Danach erfolgte, wie bei den meisten anderen Spinnereien in Appenzell Ausserrhoden, der Umbau zur Webfabrik mit 16 «Jacquard-Maschinen». Auch einige Zettel-, Schlicht- und Spulmaschinen wurden installiert. Pächter des Betriebs war der Mechaniker und Fabrikant Samuel Kürsteiner- Bänziger (1798–1865), der mit seiner Familie auch in der «Fabrik» Wohnsitz nahm.

Neben Familie Kürsteiner wohnten im Jahre 1842 dort noch weitere neunzehn Personen, nämlich drei andere Familien, sechs jüngere Weber, eine Weberin, eine Spulerin und zwei Schreinergesellen. Es befand sich zudem eine Schreinerei im Haus.

1848 erwarb Kürsteiner das Haus selber, die Maschinen pachtete er jedoch weiterhin. Ihr Eigentümer war damals Lindenwirt Christian Meier-Zürcher (1820–1870). 1854 ging die Webfabrik an Kürsteiners ältesten Sohn, 1858 an Ratsherr Johann Jakob Zeller und 1860 an die Firma Schefer & Zeller über. Kürsteiner scheint den Betrieb aber weiterhin geleitet zu haben. Das Wasserrad wurde um 1865 durch eine Wasserturbine ersetzt.

Unter Oberrichter Johannes Schläpfer erfolgte ab 1867 die Umwandlung zur Stickfabrik. 1890 standen 20 Plattstich- (Pantographen) und 12 Kettenstich-Stickmaschinen in Betrieb. Nach vielseitigen Nutzungen in den Jahren nach 1916 (Näherei, Holzdrechslerei, Wäschefabrikation, Lorrainestickerei) hielt 1923 dann die Stoffdruckerei von Jakob Alder Einzug.

Firmen von Jakob Alder

Der gelernte Stickereizeichner Jakob Alder- Langenegger/-Meierhans (1888–1976) kehrte kurz vor dem Ersten Weltkrieg aus Nordamerika zurück und eröffnete im Eggli eine Lorrainestickerei. 1923 veranlasste ihn die Stickereikrise dann, sich dem Stoffdruck zuzuwenden. Sein neuer, in der «Fabrik» in der Göbsi eröffneter Betrieb wuchs rasch und zählte in den besten Jahren gegen 50 Mitarbeitende.

1928 kaufte Alder das Gebäude am Goldibach, in dem sich neben seinen Produktionsräumen auch sieben Wohnungen befanden. Die seit einigen Jahren nicht mehr verwendete Wasserturbine liess er abbrechen.

Die Wirtschaftskrise zog jedoch auch den Stoffdruck in Mitleidenschaft. Trotz privaten Opfern – Alder verkaufte sogar sein Auto – musste Personal entlassen werden.

1936 wandte sich Alder, der in dieser Zeit auch ein Kantonratsmandat ausübte, von der Textilindustrie ab und wandelte seinen Betrieb zur «Jata-Reklamenfabrik» um. Er produzierte nun Licht- und Transparentplakate. 1946 kam die Herstellung von Abplätt-Etiketten hinzu. Die nach einem selber entwickelten Verfahren hergestellten Etiketten konnten so auf Stoff aufgebügelt werden, dass sie nicht mehr abwaschbar waren.

1962 zog sich Alder ins Privatleben zurück. In den Produktionsräumen war danach einige Jahre die Gewerbeschule des Appenzeller Mittellandes untergebracht. 1969 erwarb der junge Grafiker Kurt Büchel die ehemalige Fabrik.

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