«Etwas tun gegen die eigene Ohnmacht»

31.01.2016 | Erich Gmünder
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Stefan Staub hat mit vielen Freiwillligen zusammen die Aktion Hilfskonvoi Kurdistan initiiert. Foto: EG

 

Interview: Erich Gmünder

Stefan Staub, was für eine Bilanz ziehen Sie nach den ersten Sammeltagen?

Eine Welle von Solidarität – wirklich, nicht nur im Bereich der Sachspenden. Solidarität drückt sich auch aus in den vielen Menschen, die mich fragen, wo und wie sie helfen können. Jetzt, während wir dieses Interview machen, an einem gewöhnlichen Werktagnachmittag, ist das Pfarreizentrum voll. Da sind Leute, die schon um acht Uhr morgens hier waren und jetzt noch da sind.

Warum engagieren sich die Leute so stark?

Es sind zwei Gründe. Einerseits die Betroffenheit über die Situation der Flüchtlinge, die Gräueltaten der IS, der Winter in Nordirak – das macht viele Leute sprachlos. Wenn man fragt, warum sie sich engagieren, hört man immer wieder: Weisch, do chani öppis tue. Ich glaube, es geht auch darum, etwas zu tun gegen die eigene Ohnmacht.

Haben Sie Ihr Ziel erreicht?

Im Bereich Kleiderspenden vielleicht etwa zu 50 Prozent. Was uns auch fehlt, sind Sachspenden, z.B. neue Unterwäsche, da ist der Rücklauf noch harzig. Zwar hören wir oft: Gut, dass ihr das macht, aber auch bei Anfragen von Firmen erhalten wir häufig Absagen. Die bisherigen Spenden reichen für einen LKW, wir möchten aber gerne drei LKW losschicken.

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Die Situation der Flüchtlinge, die Gräueltaten der IS, der Winter in Nordirak – das macht viele Leute sprachlos.

Die Hilfe ist bestimmt für ein Flüchtlingslager in Nordirak, mit 20‘000 Menschen. Allein Kurdistan zählt 2 Mio. Flüchtlinge. Ein Tropfen auf einen heissen Stein?

Absolut, nicht nur ein Tropfen, das geht in den Nanobereich … (schmunzelt). Aber wenn es viele Tropfen gibt, sprich viele Institutionen, Kommunen, löst das etwas aus. Für die einzelnen Flüchtlinge ist es u.U. der Himmel auf Erden, wenn sie eine ganz konkrete Hilfe erhalten.

Hören Sie auch Kritik?

Ja, sehr verhalten, aber die Frage von Aufwand und Ertrag wird manchmal gestellt. Was bringt‘s, warum soll man das nicht grossen Organisationen überlassen.

Und was sagen Sie dazu?

Rein ökonomisch haben solche Leute vielleicht recht. Unter dem Strich ist unsere Hilfe aber mindestens so wertvoll. Wir generieren keine Personalkosten, und erreichen dank unseren lokalen Partnern die Menschen viel direkter als grosse anonyme Organisationen, die solche «Märkte» beackern, um ihre Existenz zu legitimieren.

Umgekehrt können wir auch bei den Menschen hier etwas erreichen. Sonst füllt man einfach einen Einzahlungsschein aus – obwohl es das natürlich auch braucht. Aber, das ist das Handicap einer kleinen lokalen Organisation, es braucht eine lange Planung, wir müssen zuerst das Geld auf dem Konto haben, um die Transportkosten zu decken. 10‘000 Franken kostet ein Camion. Wenn es mehr Geld gibt, dann gibt es mehr Transporte, dann brauchen wir noch mehr Sachspenden oder kaufen diese ein.

Warum macht eine Pfarrei eine solche Aktion? Wäre es für Sie als Seelsorger nicht primär Ihre Aufgabe, für die Seelen der eigenen Schäfchen zu sorgen?

(Lacht) Genau darum mache ich es. Heute weiss ich – und das wurde mir eben wieder in einem Gespräch bestätigt: Was wir hier tun, gibt der Kirche und den Menschen auch eine gewisse Wichtigkeit und Bedeutung. Ich bin überzeugt, wir können ihnen damit ein positives Kirchenbild und ein gutes Lebensgefühl vermitteln. Nur schon die Stunden, die Leute miteinander verbringen, sich gemeinsam für eine gute Sache engagieren – das hat einen seelsorgerlichen Wert.

Wie sind Sie auf diese Idee gestossen?

Durch das Gespräch an der Kanzel, als Fauzi Kaddur, unser Teufner Mitbürger, bei uns im Gottesdienst war als diplomatischer Repräsentant der Autonomen Region Kurdistan in Nordirak. Es ging damals (November 2013) gerade los mit der IS, da haben wir beim Apéro darüber spintisiert, wie könnten wir helfen. Etwas später kam Fauzi Kaddur auf mich zu, mit der Idee eines Hilfskonvois.

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Steefan Staub beim „Spendenbarometer“: Es zeigte Mitte Januar bereits einen Barbebetrag von 53’000 Franken an.

 

Als Kritikpunkt hört man auch, ob die Hilfe im Frühling nicht zu spät kommt.

Wir haben natürlich nicht die Durchschlagskraft der Hilfswerke, die innert 24 Stunden ein Lager räumen und runterfliegen können. Aber ich habe die Zusicherung von Fauzi Kaddur, dass die Flüchtlinge auch in einem Jahr noch da sind. Und wir haben im Rahmen unserer Möglichkeiten reagiert. Bereits am 8. Februar startet ein erster Konvoi mit zwei LKW und bringt Matratzen, Wolldecken und Winterkleider nach Dohuk.

Im Pfarreiforum rufen Sie auf zum Gebet für den Hilfskonvoi – Haben Sie Angst, dass etwas scheitern könnte?

Angst nicht, aber Respekt. In Dohuk haben uns die kurdischen Behörden volle Unterstützung zugesagt, wir stehen dort unter dem Schutz der Peschmerga (kurdische Miliz). Aber 4000 Kilometer quer durch drei Krisengebiete (Balkan, Türkei und Nordirak) – es liegt auf der Hand, dass da gewisse Gefahren lauern. Zwar sind wir gut vorbereitet, überprüfen dauernd die Sicherheitslage, stehen auch in Kontakt mit der Schweizer Botschaft, aber alles haben wir nicht in der Hand. Da ist es für uns als christliche Gemeinde das naheliegendste, dass man auch diese Dimension mit hineinholt.

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