Familie Oertli – Bäckerei und Wirtschaft zum Pfauen, 1949–1967

25.03.2016 | Erika Preisig-Studach
Pfauen Haus (1)
Pfauen Haus (1)
Foto undatiert. Sammlung Familie Oertli

1949 erwarb Bäckermeister Ernst Oertli von Gais die Liegenschaft Pfauen an der alten Speicherstrasse. Fast 20 Jahre lang bewirtschaftete er den grossen Betrieb mit Hilfe seiner Familie – seiner Frau Frieda und den sieben Kindern. Wirtschaft, Bäckerei, Spezereiladen, Landwirtschaft und Sägerei – alles vereint unter dem Dach des grossen, ehrwürdigen Hauses. Das bedeutete harte Arbeit, aber auch viel Liebe, Freude und Geborgenheit, welche bis heute die Erinnerungen der Nachkommen prägen. Margrit Messmer-Oertli* berichtet aus ihrer Jugendzeit im Pfauen:

Auf seinen Wanderjahren durch die Schweiz begegnete unser Vater in Kandersteg der 18-jährigen Frieda Ogi. Sie war seine grosse Liebe und eine ausserordentlich tüchtige und fröhliche Frau. Die beiden heirateten bald und zogen nach Gais, wo sie bis 1949 das Restaurant Sternen bewirtschafteten. Sieben Kinder wurden ihnen geschenkt: Frieda, Ernst, Walter, Hans, Margrit, Ruedi und Alfred.

Familie Oertli 2
Frieda und Ernst Oertli-Ogi mit ihren sieben Kindern vor dem Umzug in den Pfauen, 1949.

Mutter war eine ausgezeichnete Köchin. Das sprach sich schnell herum unter den Arbeitern. Ein Mittagessen kostete Fr. 2.50 mit Suppe, Salat, Voressen (alles Fleisch aus eigener Produktion), Kartoffelstock und Gemüse. Mit Hilfe der ganzen Familie meisterte sie Versammlungen, Hochzeiten, Metzgete, Kafichränzli. Ich erinnere mich, wie sie stundenlang in der Küche stand und Fleisch anbriet. Heisses Wasser hatte es nur in der Backstube. Wir Kinder mussten es kübelweise in die Küche heraufschleppen für den Abwasch.

Pfauen Saal(3)
Der prächtige Saal mit dem Holztäfer, festlich gedeckt für das Hochzeitsfest von Margrit und Ruedi.

Legendär war unser Teekränzli. Zwei Tage vorher wurde jeweils der kleine Holzofen im Saal eingeheizt, damit es warm genug war. Wurstweggen, Platten mit Aufschnitt und Salaten und zum Dessert Pfannkuchen wurden serviert – alles für einen Fünfliber. Coelestin Brusacoram auf der Handorgel und Paul Sonderegger am Klavier unterhielten die Gäste. Im Stall hausten Kühe, Schweine, Schafe, Kaninchen, Hühner und Gänse. Unser Bläss aber war ein ganz besonderer Hund, ein Familienmitglied und Beschützer. Vater musste nur sagen, die Schafe seien entwischt, und schon rannte er das Wiesenbord hinauf und trieb alle wieder zurück auf ihren Weideplatz. Auch wusste er genau, wann Polizeistunde war. Um Mitternacht stupfte er die Gäste an – «He du, es ist Zeit zum Heimgehen». Hühner und Gänse spazierten auf dem ganzen Gelände herum, sogar auf der Strasse. Die Gänse liebten Frauen mit langen Röcken, die sie jeweils am Saum zu zupfen pflegten.

Pfauen Gänse (7)
Gwonderigi Gäns auf der alten Speicherstrasse.

Die Schafe waren Vaters und meine Lieblingstiere. Vielleicht weil ich immer Wolljäckli trug, die mir meine Grossmutter strickte. Wenn ein Lämmlein nicht genug Milch bekam, durfte ich es schöppeln. War es Zeit dafür, verliess es die Herde, sprang die Treppe hinauf in die Küche und rief: «Mäh, ich habe Hunger!»

Wenn ich an meine Kindheit denke, klingt in meinen Ohren das Schnattern der Gänse, das Rauschen des Goldibachs und das vertraute und beruhigende Geräusch aus der Sägerei. Wir Kinder mussten auf dem Wagen, am dünnen Ende der langen dünnen Stämme, ganz ruhig sitzen, damit sie nicht verrutschten und mit dem Ritsch-Ratsch zu Haglatten gesägt werden konnten. Ich liess mich einlullen vom Surren der Säge und träumte vor mich hin. Leider verfiel das Dach der Sägerei immer mehr, eine Reparatur war zu aufwändig und zu teuer, deshalb wurde sie 1969 geschlossen. Überhaupt gab es kaum ein Dach, das dicht war. Im Stall und überall stellten wir Kübel unter die lecken Stellen. Jeden Rappen, den wir verdienten, mussten wir reinstecken ins Haus. Nur das Nötigste wurde gemacht. Deshalb wollte es später auch keines der Kinder übernehmen.

Pfauen Laden Ernst und Frieda (4)
Bäckerei und Lebensmittel: Das Ehepaar Oertli hinter dem Ladentisch.

An schönen Winter-Sonntagen schleppten wir Tische vors Haus und beluden sie mit Nussgipfel, Zimmetfladen, Linzerschnitten und Bürli. Und schon sichteten wir die ersten Skifahrer, die über den Gäbris auf die Hohe Buche gestiegen waren und nun den Rütihang hinuntergesaust kamen. Bevor sie den Anstieg auf die Waldegg unter die Füsse nahmen, stärkten sie sich. Das musste dann gehen wie s‘Bisiwetter, alle hatten ihre Aufgabe. «Hopp gang in Cheller go Süessmoscht useloo, wäsch mer d’ Gläser ab», wurden wir geheissen. Vater kam kaum nach mit Nussgipfelbacken. Gab es einen Unfall, gingen meine beiden Brüder mit dem Rettungsschlitten die Pechvögel holen. In der warmen Backstube wurden sie dann von Mutter fachgerecht eingeschient, bevor sie mit dem Auto ins Spital gebracht wurden. Am Abend sassen wir am Stubentisch und zählten gemeinsam das «Mönz», machten schöne Beiglein, die dann von Mutter gröllelet wurden.

Die Backstube war das Reich meines Vaters. Sein Brot, die schönen Bürli und feinen Zöpfe wurden weitherum geschätzt. Selbst die anderen Bäcker gestanden ihm zu, das beste Brot zu backen. Das änderte sich auch nicht, als der Holzbackofen 1955 ersetzt wurde durch einen modernen elektrischen Ofen. Trotzdem konnte die Bäckerei nicht existieren von der Ladenkundschaft, und es oblag uns Kindern, das Brot in alle Himmelsrichtungen auszutragen. Für die grossen Touren waren die Buben verantwortlich. Mit der Chrenze voller 3- und 5-Pfünder stapften sie (im Winter auf den Skiern) zwei drei Stunden bergauf, von Haus zu Haus, bis in die Bühlerer Wissegg. Für ein Brot erhielten wir 2 Rappen Botenlohn.

Pfauen Holzen (8)
Vier Oertli-Brüder beim Entrinden der Baumstämme. Die Sägerei war bis 1964 in Betrieb und wurde 1969 teilweise abgebrochen.

Mutter war eine gute Organisatorin, sie hatte alles im Griff und teilte jedem von uns seine Aufgaben zu. Jeden Tag musste ich die Gaststube spönle, am Samstag auch noch wichsen und blochen. Um sechs Uhr bereitete ich mich vor für den Empfang der Abendgäste, wusch mich, zog den schwarzen Jupe, die weisse Bluse und eine weisse Schürze an. Es kamen vorwiegend Leute aus der Nachbarschaft, die zusammen einen gemütlichen Abend verbringen wollten, meist Pärchen, aber auch einige Alleinstehende. Die Bauern hatten gute Laune und etwas Geld im Sack, denn der Samstag war auch Zahltag in der Metzgerei, für die gelieferten Sauen und Kälbli. So gegen halb zehn kam endlich auch Mutter nach getaner Arbeit in die Stube. «Hei Frieda, nemm no ees», sagten die Gäste zu ihr, und mit ihrer schönen Stimme stimmte sie ein Lied an. Bis zur Polizeistunde wurde gesungen, so richtig fröhlich und gemütlich war es.

Ja, damals teilte man Freud und Leid miteinander. Doch wie überall herrschte auch im Tobel nicht nur eitel Sonnenschein. Es gab auch die Querulanten und die Streitsüchtigen. Vor allem der Alkohol war ein Problem. Manche wurden richtig böse, wenn sie zu viel getrunken hatten. Einigen mussten wir sogar das Einkehren verbieten.

Ich kann das fast nicht verstehen, die Diskussionen um die Flüchtlinge. Bei uns wurden alle aufgenommen, Landstreicher und Hausierer, alle bekamen zu essen und ein Strohlager. Bevor sie schlafen gingen, mussten sie Tabak und Zündhölzer abgeben wegen der Brandgefahr. Es sprach sich herum, dass man im Pfauen eine Herberge bekam.

Pfauen Margrit Oertli (5)
Brote abgeliefert: Margrit Oertli an ihrem 18. Geburtstag im August 1959 auf der Waldegg.

In unserer Grossfamilie war jedes wichtig, der Zusammenhalt war gross und jedes hatte seine Aufgabe. Der eine Bruder besorgte den Saustall, der andere hatte die Verantwortung für die Kühe und die Schafe. Ich war ein schwächelndes Kind, deshalb wurden mir leichtere Arbeiten zugeteilt. Eine davon war es, den Nachbarn Telefonanrufe auszurichten. Wir waren nämlich damals weitherum die einzigen, die einen Telefonanschluss hatten. Dafür bekam ich jeweils 20 Rappen. Der Umgang mit alten Leuten und mit Kindern machte mir Freude. Nach meiner Konfirmation durfte ich im Schulhaus Tobel Sonntagschule geben. Es kamen jeweils 30–40 Kinder zu mir. Noch heute treffe ich ehemalige Töbler, die sich an mich erinnern: «Zo deer bini i d’Sonntigschuel gange.» Das Lieblingslied aller durfte nie fehlen: «Gott ist die Liebe.» Auch das Theaterspielen im Männerchor Tobel war eine schöne Abwechslung für mich.

Pfauen Ruedi Messmer (6)
Ruedi Messmer – der rassige Briefträger und spätere Ehemann von Margrit Oertli.

*Margrit Oertli wurde 1941 geboren. Sie war neun Jahre alt, als die Familie den Pfauen übernahm. Auch nach ihrer Schulzeit arbeitete sie im Betrieb mit und lernte den rassigen, immer zu einem Spass aufgelegten Briefträger Ruedi Messmer kennen, der Interesse zeigte an dem herzigen Meetli und am feinen Znüni, der schon bald auf ihn wartete, wenn er auf seiner Töbler-Tour beim Pfauen Halt machte. Die beiden heirateten 1966, haben zwei Söhne und leben seit vielen Jahren in St. Margrethen.

Notiert: Erika Preisig

Messmers 9
Margrit und Ruedi Messmer-Oertli.

Der Pfauen

Nach der Ära Oertli wurden die Wirtschaft und die Landwirtschaft von 1967–1977 von der Tochter Frieda und ihrem Mann Alfred Krüsi weitergeführt, während der Vater, Ernst Oertli, bis kurz vor seinem Tod 1977 weiter in seiner geliebten Backstube stand. Anschliessend kaufte Krüsis Sohn Fredy den Pfauen und wirtete zusammen mit seiner Frau Helen bis 1989.

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Das Wirtshausschild mit dem Pfau erinnert noch an die glanzvolle Zeit des beliebten Ausflugsrestaurants. Archivfoto: EG

Seither wechselte die Liegenschaft mehrmals die Hand und das fast 300 Jahre alte Haus dümpelte zerfallend vor sich hin. 2015 wurde es von Timo Cajacob erworben und wird zur Zeit umgebaut.

 

 

 

 

 

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