Bildbericht: Erika Preisig
Am strahlenden Spätsommersamstag des 10. September machte sich eine stattliche Zahl Wanderlustiger und Kulturinteressierter aus allen Kantonsteilen auf zur Spiessenrüti. Dort wartete nämlich Denkmalpfleger Fredi Altherr auf seine Gäste, um ihnen das Wohnhaus mit der einzigartigen Fassadenmalerei aus dem 17. Jahrhundert vorzustellen.
Das Tätschhaus Spiessenrüti
Der 23. nationale Tag des Denkmals stand unter dem Titel „Oasen“ und hatte das Ziel, auf versteckte kulturhistorische Kleinode aufmerksam zu machen.
Auf einem Rundgang wies Fredi Altherr hin auf verschiedene Details an diesem ältesten chronologisch datierten Tätschhaus des Kantons, das 1452 erbaut und im Laufe der Jahrhunderte in sieben wesentlichen Bauphasen ausgebaut und verändert wurde. Dabei wurden Strickwände teils wiederverwendet und umgeschichtet oder ganze Bauteile neu zugefügt, um die Architektur den wechselnden Bedürfnissen der Bewohner anzupassen.
Man vermutet, dass der Kernbau Ende des 17. Jahrhunderts nach Osten erweitert wurde, wo dann auch die Malerei entstand.
Zeuge der Textilindustrie
Nach dem Ende des 30-jährigen Krieges (1648) begann in unserem Kanton der Aufschwung der Textilindustrie. Vermutlich diente das Haus einem Handelsherren oder Leinenhändler als Landsitz. Dafür spricht auch die Trennung von Haus und Stall, seine Lage mit Blick auf Bodensee und Fürstenland, wie auch die rote Fassade mit illusionistischen Fugen, welche eine Mauer vortäuschen sollten. Solche „Rothäuser“ gibt es im ganzen Kanton; sie deuten hin auf einen gewissen Wohlstand ihrer Bewohner.
Um 1900 schliesslich erneuerten die Besitzer die Fassadenverkleidungen. Die rote Farbe und auch die Malerei verschwanden und kamen erst bei der Renovation von 2008 wieder zum Vorschein.
Einzigartiger Fund – die Malerei von 1673
Ivo Zemp, Spezialist für Ikonografie beim Bundesamt für Kultur, liess die Interessierten teilhaben an den Resultaten seiner Recherchen zu dieser sensationellen Wandmalerei, welche in der im 15./16. Jahrhundert beliebten Technik der Grisaillemalerei (Gris=Grau) ausgeführt ist.
Der Bildausschnitt gibt den Blick frei auf eine südländisch anmutende Szene, vielleicht am Gardasee oder der Isola Bella bei Stresa nachempfunden. In einem kleinen Hafen liegen Segelschiffe, am Pier häufen sich die Waren – Weinfässer und Leinenballen.
Der barock gekleidete Herr schreitet mit seiner Dame über eine Brücke auf ein herrschaftliches Haus zu. Die Villa erinnert an Bautypen von Andrea Palladio (1508-1580).
Krone und Herz, zusammen mit der (göttlichen) Hand symbolisieren Liebe, Seele und Güte.
Damit die Malerei vor Wind und Wetter geschützt ist, wurde der alte Laubengang rekonstruiert, anhand der gefundenen Löcher im Holz.
Wer, was, warum?
Über den Auftraggeber des Kernbaus liessen sich bisher keine Angaben finden. Ein Ulrich Spiess taucht erst 1740 in einer Zedel-Liste der Gemeinde Teufen auf. Bisher brachten weder die Verfolgung der verwendeten Handelszeichen noch Versuche zur Entschlüsselung von ikonografischen Motiven ein klärendes Licht auf das Bild. Es scheint, dass die Spiessenrüti ihre Geheimnisse nie ganz offenbaren wird, was für uns Nachkommen ihre faszinierende Wirkung noch steigert.
