Aufgewachsen im Umbruch

26.08.2021 | Timo Züst
Konrad_Hummler
Der 68-jährige Konrad Hummler blickt in seinem Buch «Aus der Frohburg» weit zurück – und schlägt den Bogen ins Jetzt. Foto: tiz Der bekannte Teufner Bankier Konrad Hummler hat ein Buch über seine Kindheit und Jugend geschrieben. Er erinnert sich darin an sein Aufwachsen in der «Frohburg» in der Stadt St. Gallen der 1950er-, 1960er- und 1970er-Jahre. Es ist ein persönliches Buch, das viel über die Ursprünge von Konrad Hummlers politischen Überzeugungen, analytischer Denkweise und Wertesystem verrät. Konrad Hummler sitzt am schwarzen Sitzungstisch seiner «M1 AG» in St. Gallen. Benannt nach der Adresse des «Thinktanks», «Family-Office» und Verlags an der Museumsstrasse 1. Gerade hat ein Assistent eine Tasse Kaffee gebracht. Der 68-Jährige strahlt Gelassenheit und Autorität aus. Eine Aura, die man von ihm erwartet. Konrad Hummler ist Bankier, Unternehmer, Publizist, Hotel-Besitzer, Kulturmäzen. Spätestens seit dem erfolgreichen Aufbau der Privatbank Wegelin & Co. ab 1990 und dem Notverkauf im Jahr 2012, nachdem das Geldinstitut ins Visier der USA geraten war, ist er in der Schweiz auch über die Bankenbranche hinaus bekannt. Und es ist nicht ganz einfach, sich diesen Mann mit hellblauem Business-Hemd, eleganter Brille und weissem Schnurrbart als den 17-Jährigen mit schwarzer lockiger Mähne, wachem Blick und freiem Oberkörper vorzustellen, der er einst war. «An das Foto kann ich mich noch sehr genau erinnern. Mein Pfadi-Kumpel hat es abends im Zelt geschossen. Wir haben am Alten Rhein Aufnahmen für unseren Film gedreht», sagt Hummler. Eine passende Wahl für das Titelbild seines Buchs «Aus der Frohburg». Die Geschichte, wie er und seine Pfadi-Freunde auf der Grundlage von Wolfdietrich Schnurres Kurzgeschichte «Reusenheben» einen zwölfminütigen Stummfilm drehten, später eine Umwelt-Demo organisierten und sogar eine Benefiz-Veranstaltung für die Opfer eines Zyklons aus dem Boden stampften, gehört zu den lebendigsten des Buches. Sie transportiert den jugendlichen Eifer, die unstillbare Neugier aber auch die Verwegenheit und den Einfallsreichtum des jungen Konrad Hummler.

Der offizielle Buchbeschrieb

Die Schockstarre nach der Stickereikrise hält noch an, die Greuel des Zweiten Weltkriegs sind noch unverdaut, die Reste eines stolzen Bürgertums aus dem 19. Jahrhundert schmelzen wie Frühlingsschnee dahin, doch Aufbruch und Wirtschaftswunder lassen auf sich warten: St. Gallen, eine mittelgrosse Schweizer Stadt in den 1950er Jahren. Ein neugieriger Knabe sieht sich um, entdeckt seine nächste Umgebung, die «Frohburg», ein Vorstadtidyll mit Stallungen, Hinterhof und kleinem Park. Seine Streifzüge durchs Quartier sind aber stets auch von Ängsten geprägt; das «Schlimme», wie er es nennt, lauert für ihn beim Gaswerk, beim Schlachthof, im Volksbad. Er sinnt nach Strategien, um es zu bannen, und wird fündig: Das Schlimme beim Namen nennen, nicht ausweichen oder verdrängen. Mit dieser Grundüberzeugung startet er ins Leben, und eine sehr vielgestaltige Jugendzeit öffnet sich ihm. Sie führt ihn auf selbständige Erkundungsreisen durch halb Europa, auf wochenlange Wanderungen durch Schweizer Berge, lässt ihn kettenrauchen, einen Tonfilm drehen, eine Umweltdemo organisieren (1971 …), Daniel Cohn-Bendit bewundern, die Sowjets und deren Abkömmlinge in der Schweiz hassen, sich von Johann Sebastian Bachs Musik vereinnahmen. Mehr und mehr ergibt sich das Bedürfnis nach einem tieferen Verständnis von Welt- und Wirtschaftsgeschehen, und so wird die Entdeckungsreise in die Wissensgebiete der Rechtswissenschaft, der Ökonomie und der Informatik ausgedehnt: Das «Schlimme» durch Begreifen bannen. Die endgültige Befreiung von den einengenden Konventionen des Denkens erfährt der nunmehr erwachsene Konrad Hummler am andern Ende der Welt, hoch über dem Pazifik, bei nicht untergehender Sonne am Polarkreis.
Den Ursprung aufzeichnen «Es war eine ganz neue Erfahrung. Einerseits hinterfragt man sein Erinnerungsvermögen. Und andererseits erfährt man eine gewisse Objektivierung der eigenen Geschichte.» Die publizistische Tätigkeit ist nichts Ungewohntes für Konrad Hummler. Seine Anlagekommentare (Wegelin / «bergsicht») erreichten Auflagen von bis zu 100’000 Exemplaren. Dazu kommen diverse Beiträge als Kolumnist oder Gastautor bei grossen Zeitungen und Magazinen. Aber die autobiographische Belletristik ist Neuland für ihn. «Ich habe mir beim Schreiben vorgestellt, dass ich diese Geschichten irgendwann meinen Enkeln vorlesen werde, wenn sie fragen: Opa, wie war das damals?» Die Texte entstanden anfangs nicht mit der Absicht, sie als Buch zu veröffentlichen. Erst als ihn einige Bekannten nach der Lektüre von Fragmenten dazu ermuntert hatten, fasste er den Plan, aus den Erinnerungen seiner Kindheit und Jugend ein Ganzes zu formen. Am Dienstagabend fand im Rösslitor nun die Buchvernissage statt. Das 168-seitige Werk erzählt die Geschichte des jungen Konrad Hummler, der mit seinem Zuhause («Frohburg») im Osten der Stadt St. Gallen als Basis beginnt die Welt zu entdecken. «Die 50er-, 60er- und 70er-Jahren sind in der Geschichtsschreibung noch längst nicht so präsent wie frühere Jahrzehnte. Ich hatte deshalb das Bedürfnis, die damaligen Verhältnisse und die Atmosphäre der Stadt darzustellen.» Dafür wählt Hummler einen nüchternen, beschreibenden Ansatz. Aber auch Emotionalität, persönliche Details und Humor haben Platz. «Natürlich ist eine Autobiographie auch immer eine Selbstdarstellung. Man selektiert schliesslich. Aber die grösste Falle ist für mich die Selbstrechtfertigung. Das wollte ich auf jeden Fall verhindern. Wofür denn auch?» Geistiger Aufbruch Es ist nicht unbedingt das Buch, das man von Konrad Hummler erwartet hätte. Warum kein Protokoll vom Ende der «Wegelin»? Ein realer Banken-Thriller mit persönlichem Touch? Das klingt Bestseller verdächtig. «Klar, das ist die grosse Frage. Aber das wäre mir dann doch zu eindimensional gewesen. Ich bin nicht bloss der Bänker», sagt Konrad Hummler. Seine vielschichtige Persönlichkeit, breit gefächerten Interessen und tief verwurzelte, humanitäre Philosophie thematisiert er in seinem Buch. Letzteres ist wohl einer der intimsten Einblicke, die er dem Leser gewährt: Die Entstehung seiner Weltanschauung und Denkmuster. «Nach dem Niederschlag des Prager Frühlings habe ich mich intensiv mit den Themen Gewalt und Machtmissbrauch auseinandergesetzt und eine Strategie entwickelt, um ungerechtfertigte Machtanhäufungen zu identifizieren.» Konrad Hummler wächst als Sohn des freisinnigen Stadtpräsidenten Alfred Hummler in einem liberalen, intellektuellen, politik- und kunstaffinen, aber auch offenen Haushalt auf. Dieses Umfeld in Verbindung mit seinen eigenen Erfahrungen und dem Studium diverser Philosophen bringen ihn zur Überzeugung, dass es das kommunistische Gedankengut, das damals bei den Schweizer Studenten weit verbreitet war, zu bekämpfen galt. Es waren die ersten Gehversuche seiner bis heute währenden publizistischen Tätigkeit. Das Engagement beschränkte sich allerdings nicht nur auf das Verfassen der liberalen Studentenzeitung. «Natürlich haben wir mit einigen Aktionen auch etwas die Grenzen ausgelotet. Aber damals war das noch möglich. Und heute sind es gute Geschichten.» Der Unangepasste «Ich habe nie wirklich in ein Schema hineingepasst. Weder ins arme Linsenbühl- oder Schützengarten-Quartier noch zu den Reichen in Rotmonten. Im Grundsatz habe ich nie geschaut, was die anderen machen, sondern immer mein Ding durchgezogen.» Konrad Hummlers kurze Erklärung zum Untertitel des Buchs «Aufzeichnungen zur Herkunft eines Unangepassten» fasst gut zusammen, was nach der Lektüre hängen bleibt: Die Vorstellung eines aussergewöhnlichen jungen Mannes, der in einer Welt im Umbruch Identität, Werte und Orientierung sucht. Es war dieser Prozess, der die Grundlage für Konrad Hummlers späteren Erfolg legte und sein Denken bis heute prägt.  tiz Link zum Buch: http://www.editionkoenigstuhl.com/produkt/aus-der-frohburg/

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