Ein ganz normaler Beruf?

05.06.2023 | Nerina Keller
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Nerina Keller

Geht ein Pfarrer oder eine Pfarrerin in den Ruhestand oder verlässt die Kirchgemeinde aus anderen Gründen, ist die frei gewordene Stelle nicht leicht zu besetzen. Qualifiziertes Personal ist rar. Kürzlich hat die Appenzeller Zeitung über die Vakanz in Urnäsch berichtet. Dort gibt es bis heute keine Nachfolgeregelung für das Pfarramt. Auch in Teufen wird derzeit nach einer Pfarrperson für die Reformierte Kirche gesucht. Was heisst es überhaupt, Pfarrer zu sein? Wie viel verdient eine Pfarrerin? Und weshalb machen kaum mehr Junge eine theologische Ausbildung? Die TP hat bei Pfarrerin Andrea Anker und Diakon Stefan Staub nachgefragt. Sie haben schriftlich geantwortet. 

Andrea Anker, Reformierte Kirche


Welche Ausbildung haben Sie gemacht, um Pfarrerin zu werden?

Ich habe nach der Matura an der Universität Zürich Theologie studiert. Das Studium dauerte fünf Jahre. Ein weiteres Jahr habe ich in Cambridge in England studiert und dort noch einen «MPhil» in Theologie und Philosophie gemacht. Nach dem Studium habe ich das einjährige pfarramtliche Praktikum (Vikariat) absolviert und bin dann im Grossmünster in Zürich ordiniert worden.

Zu welchem Pensum sind Sie angestellt?

Seit Anfang Jahr bin ich zu 75 Prozent angestellt. Davor hatte ich während 10 Jahren ein 60%-Pensum. Ab Sommer werden es dann mindestens 80 Prozent sein.

Entspricht dieses auch der tatsächlichen Arbeitszeit oder arbeiten Sie mehr?

Zwischen Sommer und Winter 2022 habe ich sehr viele Überstunden angesammelt und auch jetzt arbeite ich oft mehr als 75 Prozent. In der Vergangenheit konnte ich diese Überstunden jeweils mit zusätzlichen Ferientagen in den Sommerferien, wenn deutlich weniger los war, kompensieren. Hoffen wir, dass dies auch dieses Jahr möglich ist!

Welche Aufgaben nehmen den grössten Teil Ihrer Arbeitszeit ein?

Viel Zeit brauche ich für die Organisation und Vorbereitung diverser Anlässe wie Gottesdienste, Abdankungen, Hochzeiten, Taufen, Erwachsenenbildung, Konfirmanden-Unterricht, «Chinderfiire» und so weiter. Auch Hausbesuche und Gespräche nehmen viel Zeit in Anspruch. Bei einer grossen Konf-Gruppe kommt es vor, dass ich zwischen Januar und Februar bis zu fünfzehn Konf-Besuche mache, was viele Stunden Arbeit bedeutet.

Wie geregelt sind die Arbeitszeiten? Gibt es fixe, freie Tage?

Wir sind sehr frei, was die Einteilung der Arbeit anbelangt. Viele Pfarrer und Pfarrerinnen machen am Montag frei. Ich nehme es, wie es kommt. Manchmal mache ich am Mittwochnachmittag frei, manchmal auch am Freitagmorgen. Da ich mit vielen Freiwilligen zusammenarbeite, muss ich bereit sein, abends noch Sitzungen einzuplanen. Sonst findet man keine Termine, die allen passen.

Gibt es auch «Notfalleinsätze» als Pfarrerin oder ist alles planbar?

Viele Veranstaltungen sind planbar. Aber daneben gibt es natürlich Todesfälle, die oft völlig überraschend kommen. Oder auch seelsorgerische Notfälle. Dass kurz vor Mitternacht noch das Telefon klingelt, ist zum Glück selten. Aber es ist auch schon vorgekommen. Ich versuche, so gut es geht, rund um die Uhr erreichbar zu sein.

Welche Benefits haben Sie durch das Amt als Pfarrerin?

Ich hoffe natürlich, dass ich dereinst ein schönes Plätzchen im Himmel bekomme. Mit Balkon, Liegestuhl und Wunschkonzert in alle Ewigkeit. Spass beiseite: Wer sich zu viele Gedanken macht über Benefits im Pfarrberuf, sollte sich nochmals überlegen, ob er oder sie wirklich am richtigen Ort ist. Der Pfarrberuf sollte immer auch Berufung sein, eine gewisse Portion Idealismus und Leidenschaft sind unabdingbar. Denn vieles von dem, was man früher vielleicht noch als Benefit aufzählen konnte seien es Ansehen und Status, ein grosses Pfarrhaus oder die Gewissheit, einen sicheren Job zu haben, ist heute kaum mehr der Rede wert.

Ich schätze am Pfarrberuf die Möglichkeit, mit Menschen aller Altersstufen und Milieus in Kontakt zu treten und sie in existentiell wichtigen Zeiten zu begleiten und mit ihnen über Themen wie Glauben, Schuld und Vergebung, das Schöpfen von Kraft und Hoffnung auszutauschen. Mir gefällt auch, dass ich in diesem Beruf als Mensch ganzheitlich gefordert bin. Es braucht den Kopf, es braucht das Herz und auch die Hände. Man hat die Chance, als Mensch zu wachsen. Die vielen Einblicke, in Familien zum Beispiel, verhelfen zu einer differenzierten Wahrnehmung der Gesellschaft und gesellschaftlicher Entwicklungen. Das finde ich spannend.

Wie hoch ist der Lohn? Ist das Ihrer Meinung nach ein angemessener Lohn?

Der Lohn ist etwa so hoch wie der eines Mittelschullehrers oder einer Mittelschullehrerin. Während die Lehrer viele Ferien haben, haben wir viele Freiheiten. Aus meiner Sicht ist der Lohn angemessen.

Wie viele Wochen Ferien haben Sie?

Ich habe 5 Wochen Ferien.

Besuchen Sie als Pfarrerin auch Weiterbildungen?

Ja, ich besuche pro Jahr an mindestens fünf Tagen eine Weiterbildung. Kürzlich habe ich an einem Weiterbildungstag für Psychosoziale Notfallversorgung teilgenommen und im Juli leite ich in Basel eine theologische Tagung mit.

Wie gut lässt sich der Beruf der Pfarrerin mit Privatleben und Familie vereinen?

Das ist schwierig zu sagen und die Meinungen dazu gehen unter Kolleginnen und Kollegen weit auseinander. Einerseits ist die grosse Flexibilität und Selbstbestimmung natürlich ein Vorteil. Andererseits sind die vielen Abendtermine und die Einsätze an den Wochenenden nicht besonders familienfreundlich. Als meine Kinder klein waren, kam es einmal vor, dass ich an einem Mittwochnachmittag ins Altersheim gerufen wurde. Ein Mann lag im Sterben. Es blieb keine Zeit, noch eine Kinderbetreuung zu organisieren und so gab ich die Kinder kurzerhand bei der Coiffeuse im Altersheim in Obhut. Während sie im Zimmer nebenan jemandem die Haare schnitt und die Kinder am Boden spielten, versuchte ich mit gutem Zureden und Gebeten, dem Mann die Angst vor dem Sterben zu nehmen.

Gibt es in der Kirche vergleichbare Strukturen wie in privaten Unternehmen (Hierarchien, Führung, Zuständigkeiten)? Falls ja, wer ist Ihre Chefin?

In Appenzell Ausserrhoden sind wir Pfarrerinnen und Pfarrer Angestellte. Die anstellende Behörde ist die Kirchenvorsteherschaft und deren Präsidentin ist meine Vorgesetzte. Wir leiten die Gemeinde aber als Team und die Hierarchien sind eher flach, was Vor- und Nachteile hat. Für mich stimmt es so, wie es ist. Ich gehöre nicht zu jenen, die glauben, mit einer anderen Struktur und mehr Top-down-Führung hätten wir weniger Probleme. Entscheidend ist, dass man miteinander im Gespräch bleibt und Sorge trägt zum gegenseitigen Vertrauen. Wenn nämlich das Vertrauen angeschlagen ist oder die einen gegen die anderen einen Groll hegen, nützt die beste Struktur nichts.

Können Sie sich erklären, weshalb immer weniger Junge eine theologische Ausbildung machen und Pfarrer werden?

Das hat meines Erachtens verschiedene Gründe. Zum einen liegt es daran, dass die Theologie als Fachgebiet immer exotischer wird, wenn in der Schule und im Elternhaus religiöse Themen kaum mehr behandelt und die klassische Bildung von anderem verdrängt wird. Wer lernt heute noch Latein? oder hat ein fundiertes historisches Wissen? Wer kennt sich noch aus in der Literatur, wer liest überhaupt noch? Immer mehr Maturanden machen eine Wirtschaftsmatur. Da ist es ein weiter Weg bis zur Theologie. Auch das Image der Kirche ist nicht das Beste. Wobei hier die oft sehr negative Presse über Skandale in der katholischen Kirche auch der reformierten Kirche geschadet hat.

Zum Eindruck, die Kirche befinde sich in der Krise, trägt aber diese selbst auch viel bei. Indem bei jeder Gelegenheit über die Austritte und den Relevanz-Verlust gejammert und behauptet wird, die Leute wollen keine Predigten mehr hören. Obwohl alle wachsenden Kirchen sehr wohl auf die Kommunikationsform der Predigt setzen und viele Menschen auch entsprechende Podcasts hören. Und drittens haben wir in unserer Gesellschaft zur Zeit ja einen generellen Fachkräftemangel: Es gibt zu wenige Lehrer, es gibt zu wenig Hausärztinnen, es gibt zu wenig Pflegekräfte und Menschen, die in der Gastronomie arbeiten wollen. Die Reformierte Kirche als Arbeitgeberin ist nicht stärker betroffen als viele andere Branchen auch.

Was braucht es, damit dieser Beruf wieder an Attraktivität gewinnt?

Ich denke, es bräuchte einerseits bessere Werbung fürs Studium an den Schulen und in der Jugendarbeit. Andererseits aber auch einen gesellschaftlichen Wandel, der dem Hergebrachten, den Traditionen und den klassischen Werten wieder mehr Respekt entgegenbringt. Jugendliche sollten wieder lernen, Texte zu lesen, zu interpretieren, selber zu schreiben, mit anderen auch kontrovers zu diskutieren. Und dann müssen wir als Kirche damit aufhören, negative Schlagzeilen zu provozieren. So wie kürzlich in der Appenzeller Zeitung: «Kirche, einsam, sucht…», uns aktiver für positive News über die Kirche und den Pfarrberuf einsetzen. Man erlebt so viel Lustiges, Abgründiges und Herzerwärmendes in diesem Beruf und man kann so viele spannende Anlässe auf die Beine stellen. Da sollte es nicht so schwer sein, mit Selbstbewusstsein und Freude darüber zu sprechen und andere fürs Pfarramt zu begeistern!

Stefan Staub, Katholische Kirche


Welche Ausbildung haben Sie gemacht, um Diakon zu werden?

Ich habe meine Ausbildung erst mit 25 Jahren begonnen. Zuerst habe ich 3 Jahre Religionspädagogik an der Theologischen Fakultät studiert, dann drei Jahre in Wangs SG gearbeitet und nochmals zwei Jahre in Luzern angehängt.

Zu welchem Pensum sind Sie angestellt?

Zurzeit zu 80 Prozent, inklusive Polizeiseelsorge im Korps der KAPO AR. Die restliche Anstellung habe ich beim VBS (Eidgenössisches Departement für Verteidigung, Bevölkerungsschutz und Sport) als Armeeseelsorger mit besonderen Aufträgen.

Entspricht dieses auch der tatsächlichen Arbeitszeit oder arbeiten Sie mehr?

Man arbeitet als Seelsorger oft mehr aufgrund der unregelmässigen Arbeitszeiten. Ich versuche, in den Ferienzeiten zu kompensieren.

Welche Aufgaben nehmen den grössten Teil Ihrer Arbeitszeit ein?

Liturgische Dienste wie Gottesdienste, Trauungen und Beerdigungen nehmen den grössten Teil der Zeit ein. Und pro Jahr gibt es 30 – 40 Tauffeiern. Hinzu kommen Administration im Rahmen der Pfarramtsführung und Seelsorgegespräche.

Wie geregelt sind die Arbeitszeiten? Gibt es fixe, freie Tage?

Ich weiss nie, was der Tag bringt. Manchmal läuft es ganz geordnet und manchmal kommen zwei Todesfälle oder drei Krisengespräche. Ich versuche, den Montag als freien Tag zu nehmen. Ein Wochenende pro Monat habe ich keine Gottesdienste. Generell aber verlangt der Beruf eine relativ hohe Verfügbarkeit – vor allem bei Notfällen.

Gibt es auch «Notfalleinsätze» als Diakon oder ist alles planbar?

Ja, das gibt es: Bei Sterbebegleitungen oder in seelisch-psychischen Krisensituationen, in denen Seelsorgende aufgesucht werden.

Welche Benefits haben Sie durch das Amt als Diakon?

Ich wohne in einer vergünstigten Dienstwohnung (Pfarrhaus) und liebe mein Zuhause als persönliches Refugium. Dafür bin ich enorm dankbar, auch wenn ein Pfarrhaus einen gewissen öffentlichen Charakter hat. Im Gegensatz zu früher, als der Pfarrer für alle jederzeit erreichbar war, respektieren die allermeisten Menschen mein Bedürfnis nach Privatsphäre.

Wie hoch ist der Lohn? Ist das Ihrer Meinung nach ein angemessener Lohn?

Ich verdiene denselben Lohn wie ein Sekundarlehrer oder eine Sekundarlehrerin. Den Lohn finde ich angemessen. Und er sollte nicht ein primäres Argument für die Berufswahl sein.

Wie viele Wochen Ferien haben Sie?

Seit ich das 50. Lebensjahr überschritten habe, darf ich mir sechs Wochen Ferien gönnen. Fünf Wochen davon sind ordentliche Ferien und eine Woche ist Kompensation, da ich an den üblichen Feiertagen, an denen andere fei haben, arbeiten muss.

Besuchen Sie als Diakon auch Weiterbildungen?

Ja, vor allem in den Bereichen Krisenintervention und gesellschaftliche Veränderungen.

Wie gut lässt sich der Beruf des Diakons mit Privatleben und Familie vereinen?

Ich habe den wohl abwechslungsreichsten «Job». Und eigentlich ist es kein «klassischer» Job, sondern eine Lebenshaltung. Seelsorger machen nicht einfach ihre Arbeit von 08.00 bis 17.00 Uhr, von ihnen erwartet man eine gewisse Authentizität und Lebenshaltung, die dem Beruf nicht widerspricht. Das muss eine Familie mittragen können. Das ist doch irgendwie ähnlich wie bei einem Gemeindepräsidenten oder einer Ärztin.

Gibt es in der Kirche vergleichbare Strukturen wie in privaten Unternehmen (Hierarchien, Führung, Zuständigkeiten)? Falls ja, wer ist Ihre Chefin?

Die gibt es. Die Kirche hat zwei Systeme. Jenes, das über das normale Zivilrecht geregelt ist (Arbeitsvertrag, Personalgespräche, ) und die hierarchische Struktur der katholischen Kirche, die über das kanonisch-kirchliche Recht geregelt ist. Ich habe demnach zwei Chefs: Die Kirchenverwaltung der Kirchgemeinde Teufen, die präsidiert wird durch Fabio Malinconico und den Bischof von St. Gallen als meinen kirchlichen Vorgesetzten der Diözese St. Gallen, zu der unsere Pfarrei Teufen-Bühler-Stein gehört.

Können Sie sich erklären, weshalb immer weniger Junge eine theologische Ausbildung machen und Pfarrer oder Diakon werden?

Die Bindung an eine Pfarrei ist heute nicht mehr per se gegeben. Menschen suchen sporadisch die Nähe zur Kirche bei Lebenswendungen. Oder jemand ist spirituell angesprochen und besucht die Gottesdienste. Junge Menschen stehen Systemen, wie die Kirche eines ist, eher kritisch, desinteressiert oder gar ablehnend gegenüber. Die Frage nach Sinn und Glaube ist rein biografisch bei jungen Menschen nicht die wichtigste.

Was braucht es, damit dieser Beruf wieder an Attraktivität gewinnt?

Wenn ich eine Antwort hätte, könnte ich sie teuer verkaufen. Ich glaube, dass Seelsorgerin oder Seelsorger kein Beruf ist, der dem Mainstream entspricht. De Kirche muss damit leben, dass sie mit weniger Seelsorgenden auskommen muss. Sie muss sich in vielen Bereichen verändern, um sich bei jungen Menschen Gehör zu verschaffen. Die Botschaft des Neuen Testaments ist brandaktuell. Nur die Verpackung, in der die Botschaft daherkommt, ist ein wenig aus der Zeit gefallen. 

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