Im Zweifel für das Volk

25.01.2020 | Timo Züst
Doppelspur_Initiative (1)
Die IG Tüüfner Engpass hat ihre Initiative am 20. Dezember eigereicht. Foto: Archiv Timo Züst Auslöser war die Mitteilung der Gemeindekanzlei vom 21. Januar. Teil davon war die Mitteilung, dass die Doppelspur-Initiative mit 799 beglaubigten Unterschriften zustande gekommen ist. Gleichzeitig verwies der Gemeinderat aber auch auf die laufende, inhaltliche Prüfung. Erst wenn sie abgeschlossen ist, wird er die Initiative als gültig oder ungültig bewertet. Das veranlasste die IG Tüüfner Engpass zu dem Versand einer Medienmitteilung mit einem gewichtigen Anhang – dem Rechtsgutachten zu ihrer Doppelspur-Initiative. Autor ist Prof. Dr. iur. Sebastian Heselhaus. Er unterrichtet an der Universität Luzern Verfassungsrecht und hat das Gutachten im Auftrag der IG erstellt. Sein Fazit: Die Initiative ist rechtsgültig. Wie kam er zu diesem Schluss? Und wie wahrscheinlich wäre eine anderweitige Beurteilung? Die TP hat in Luzern angerufen und diese Fragen gestellt. Herr Heselhaus, Sie haben im Auftrag der IG Tüüfner Engpass ein rechtliches Gutachten erstellt. Eigentlich unterrichten Sie an der Universität Luzern Verfassungsrecht. Haben Sie viele solche Anfragen? Nein. Es kommt ab und zu vor, dass wir über die Universität Gutachten erstellen. Diese werden häufig von Gemeinden in Auftrag gegeben, die sich absichern wollen. In diesem Fall wurde ich aber als Privatperson angefragt. Das kommt eher selten vor. Sie sind also kein «bekannter Gutachter» für solche Fälle? Nein, das wohl nicht (lacht). Aber ich bin Experte für Verfassungsrecht und habe mich schon mit vergleichbaren Fällen auseinandergesetzt. Beispielsweise bei der geplanten Fusion von Luzern und Littau. Damals lösten anfangs zu tief geschätzte Kosten eine SVP-Volksinitiative aus, über deren Rechtsgültigkeit ich ein Gutachten verfasste. Das Dokument ist mit «Kurzgutachten» betitelt. Was muss ich mir darunter verstehen? Ich bin Rechtswissenschaftler und kein Anwalt. Das bedeutet, ich habe mich hier nicht mit einem konkretisierten Fall auseinandergesetzt. Stattdessen habe ich die möglichen Rechtsprobleme bewertet. Der Titel «Kurzgutachten» sagt aus, dass viele der von mir behandelten Rechtsprobleme noch deutlich eingehender analysiert werden könnten. Darauf habe ich aber verzichtet und mich auf die Kernfrage fokussiert. Noch plumper gefragt: «Kurzgutachten» bedeutet nicht juristisch weniger abgesichert? Keineswegs. Meine rechtliche Einschätzung zur Kernfrage ist in diesem Gutachten breit abgestützt und mit entsprechenden Quellen und Urteilen belegt. Bei der Lektüre hat mich etwas erstaunt: Sie beschäftigen sich sehr eingehend mit der Frage, ob eine Wiedererwägung – sprich eine erneute Abstimmung zur Ortsdurchfahrt – rechtens ist. Ich hatte eher eine Analyse zum übergeordneten Recht erwartet. Aber das ist doch das gleiche (lacht). Alle Punkte, die für die rechtliche Beurteilung der Initiative relevant sind, befassen sich mit übergeordnetem Recht. Sei es die Frage nach dem gültigen Gegenstand, der Einheit der Form, der Einheit der Materie oder die Frage, ob sie rechtsmissbräuchlich ist. Okay, da komme ich nicht ganz nach. Und meine Frage war wohl etwas sehr amateurhaft. Ich versuche es konkreter: Ich hatte eine tiefere Auseinandersetzung mit dem Eisenbahngesetz erwartet. Damit habe ich mich natürlich auch befasst. Dabei gilt es zu beachten, dass für Teufen – in Anwendung des Eisenbahngesetzes – eine ganze Reihe von Konzessionen bestehen. Würden sich die Pläne für die Ortsdurchfahrt nun grundlegend ändern, könnte das Einfluss auf diese Konzessionen haben. Im Gutachten habe ich dargelegt, dass sie gegebenenfalls zurückgezogen oder geändert werden könnten. Aber ist das denn überhaupt möglich? Es ist rechtlich nicht unmöglich. Bestehende Konzessionen können während ihrer Laufzeit aus besonderen Gründen widerrufen werden. Dafür braucht es aber ein sogenanntes «wesentliches öffentliches Interesse». Ausserdem müsste je nach Vorschrift das betroffene Bahnunternehmen, sprich die Appenzeller Bahnen, angemessen entschädigt werden. Zum Kern der Sache: Sie kommen in Ihrem Gutachten zum Schluss, dass die eingereichte Initiative (Doppelspur: Ja oder Nein?) rechtsgültig ist. Das stimmt. Allerdings nur unter der Bedingung, dass der Kostenanteil der Gemeinde mehr als 250’000 Franken beträgt. Warum? Damit wäre die Schwelle für ein fakultatives Referendum überschritten. Das ist eine der rechtlichen Grundlagen für die Initiative. Im Jahr 2015 sprach man im Edikt von einem Kostenanteil von 200’000 Franken – damit wäre die Schwelle noch nicht erreicht. In Anbetracht der inzwischen aber massiv gestiegenen Kosten kann man wohl davon ausgehen, dass der Betrag auf über 250’000 Franken steigt. Aber das betrifft nur den Anteil am Bau der Doppelspur? Also ohne Kantonsstrasse, Hangbrücke etc. Richtig. Was sagen Sie denn zur Aussage, dass die zwei «Nein» zu den Tunnels (2015 / 2017) auch als ein «Ja» zur Doppelspur zu werten sind? Das sehe ich nicht so. Diese Haltung scheint mir rechtlich nur schwer vertretbar. Nur weil das Volk einen Kredit in Millionenhöhe für einen Tunnelbau ablehnt, bedeutet das doch noch lange nicht, dass es gleichzeitig dem Bau einer Doppelspur zustimmt, die Auswirkungen auf den Strassenverkehr im Ort hat. Dafür bräuchte es meiner Ansicht nach eine separate Abstimmung über den entsprechenden Objektkredit. Immer vorausgesetzt, dass der Betrag hoch genug ist. Ich komme noch einmal mit dem Eisenbahngesetz: Uns wurde in den vergangenen Jahren mehrere Male gesagt, dass Teufen – falls es die Doppelspur nicht wolle – eine Alternative vorschlagen müsse. Sonst werde einfach die Doppelspur gebaut. Das übergeordnete Recht hat andere Zuständigkeiten und andere Aufgaben als das kommunale Recht. Es ist richtig, dass der Bund dem Eisenbahnunternehmen die Konzession für eine Doppelspur geben kann und die Finanzierung sicherstellt. Aber die Streckenführung in der Gemeinde und der Finanzierungsanteil der Gemeinde muss trotzdem vom kommunalen Stimmvolk bewilligt werden. Aber natürlich gibt es in beide Richtungen Abhängigkeiten. Denn falls die Teufnerinnen und Teufner «Ja» zu einem Tunnel sagen würde, müssten sich die Appenzeller Bahnen auch bereiterklären, diesen zu bauen. Anders gesagt: das eine Recht hebelt das andere nicht aus? Sozusagen. Es bestehen Verbindungen, aber die Zuständigkeiten überschneiden sich nicht. Nun kommt Ihr Gutachten zum Schluss, die Initiative sei rechtsgültig. Der Gemeinderat lässt derzeit ein eigenes Gutachten erstellen. Wie wahrscheinlich ist es, dass dabei ein anderes Resultat herauskommt? Ich bin zu 100 Prozent davon überzeugt, dass meine Einschätzung richtig ist. Aber Sie wissen wie das ist: Bei jeder juristischen Frage gibt es mindestens zwei gegenüberliegende Meinungen. In diesem Fall bin ich aber der Ansicht, die Sachlage ist klar. Spätestens das Bundesgericht würde sich sicher an den Grundsatz «in dubio pro populo» (Im Zweifelsfall für das Volk) halten und damit den Volkswillen unterstützen. Damit wären wir dann aber bei einem Rechtsstreit. Genau. Und das ist, wie angetönt, eine ganz andere Ebene als die rechtswissenschaftliche Auseinandersetzung. Dann kommen die Anwälte zum Zug. Zum Abschluss noch eine populistische Bemerkung: In einem Gutachten steht doch sowieso immer das, was der Besteller will. Darauf gibt es zwei Antworten. Erstens: Es ist natürlich so, dass in diesem Gutachten das steht, was die IG lesen will. Aber – und das ist der zweite Teil der Antwort – Grund dafür ist nicht die Überzeugung der IG. Wenn ich eine Anfrage für ein Gutachten erhalten, frage ich immer, ob der Besteller ergebnisoffen ist und das war hier der Fall. Ich bin Rechtswissenschaftler, nicht Anwalt. Mich interessieren solche Fragen und ich betrachte sie aus der rein rechtlichen Perspektive. Das war auch hier der Fall.
Prof. Dr. iur. Sebastian Heselhaus unterrichtet an der Universität Luzern Verfassungsrecht. Foto: zVg

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