Mit den Augen musizieren

01.06.2023 | Timo Züst
Max Berend X Tabula Musica_Fern_Maximilian Lederer
Max Berend (rote Kappe) und das «Tabula Musica Orchestra» treten im Rahmen des anKlang-Gottesdienstes vom 11. Juni auf. Foto: Maximilian Lederer

Am 11. Juni spielt die Musik in der Grubenmann-Kirche: Max Berend und das «Tabula Musica Orchestra» treten im Rahmen eines «anKlang»-Gottesdienstes auf. Aus der Zusammenarbeit des St. Galler Singer-Songwriters und des Orchesters, in dem Menschen mit und ohne Behinderung spielen, ist ein einzigartiger Sound entstanden. Die TP hat die Musizierenden gefragt: Was ist Inklusion überhaupt? Und passt das in eine Kirche?

Eine Idee von Pfarrerin Andrea Anker

Letzten Sommer kam ich im Rahmen der Appenzeller Bachtage mit Max ins Gespräch. Als er mir von seinen Projekten erzählte, machte es bei mir plötzlich «Klick». Ich schlug vor, wir könnten ja zusammen mit «Tabula Musica» mal einen «anKlang»-Gottesdienstes gestalten, in dem Inklusion nicht bloss gefordert, sondern gelebt und gefeiert wird! 

Für mich ist klar, dass die Botschaft von Jesus sich gegen jede Form von Ausgrenzung richtet. Das Evangelium ist eine Einladung zum kritischen Hinterfragen von gängigen Messlatten und Schubladen-Denken. Auch der Glaube, dass wir als Menschen, so wie wir sind, mit all unseren Eigenheiten, von Gott geschaffen, geliebt und gewollt sind, ist für mich eine Brücke für den Austausch über und die Realisierung von Inklusion.

Hallo Max, eigentlich spielst du deine Songs allein oder mit Band. Wie kamst du aufs Orchester?

Die Verbindung ist unser gemeinsamer Fotograf Maximilian Lederer. Er kennt mich schon lange und weiss, wie wichtig mir das Thema Inklusion ist. Und dass es mich sowohl in Beruf als auch Musik begleitet. Irgendwann hat er zu mir gesagt: «Du solltest unbedingt was mit ‘Tabula Musica’ machen.» Das neue Album bot diese Gelegenheit. Vor einem Jahr haben ich und Nadine Schneider (siehe unten) vom Orchester uns dann zum Mittagessen getroffen – und entschieden.

Da muss ich jetzt gleich zwei Mal nachfragen. Erstens: Was machst du beruflich?

Grösstenteils arbeite ich in der Kommunikation. Hauptsächlich für NGOs (Non-Profit-Organisationen), die sich für Inklusion einsetzten. Eines davon ist «Blindspot» in Bern. Eine meiner Aufgaben ist beispielsweise das «Übersetzen» von komplizierten oder umgangssprachlichen in leichter verständliche Texte.

Zweitens: Wie singt man über Inklusion?

Ich würde sagen, dass ich nicht über Inklusion singe, sondern über die Sehnsucht nach der selbstverständlichen Zugehörigkeit.

Kannst du das konkreter beschreiben?

Wir wollen uns doch alle zugehörig fühlen. Deshalb müssen wir lernen, uns mit uns selbst auseinanderzusetzen. Wer sind wir? Was für Geschichten tragen wir mit uns? Hören wir den Geschichten anderer zu? Nur so entsteht Verständnis und echte Zugehörigkeit. Darüber singe ich.

Im «Tabula Musica Orchestra» äussert sich das in Form von Musizierenden mit oder ohne Behinderung. Das ist aber nur ein Aspekt dieser Diskussion, oder?

Das ist richtig. Die grundlegende Botschaft ist: Wir sind alles Menschen. Egal, welchen religiösen Hintergrund wir haben, woher wir kommen, wie wir aussehen, was wir können oder eben nicht können. Am Anfang steht immer Offenheit. Dann kann ein Dialog über Zugehörigkeit geführt werden und welche Rahmenbedingungen wir schaffen können, damit alle selbstbestimmt teilhaben. Das ist dann die Inklusion, die auf der Bühne passiert, wenn wir gemeinsam als Ganzes, das Tabula Musica Orchestra und der Max Berend Band, auftreten.

Und wie hängt das mit dem Titel deines Albums zusammen: «She, the Sea»?

Mich prägen nicht nur Menschen, sondern auch Orte. Die See bzw. das Meer war für mich schon immer eine Art gute Freundin. Sie war immer da, hat immer zugehört, ihr konnte ich alles erzählen. Auf diesem Album versuche ich genau das: Mich mit meinen grössten Ängsten und Hemmungen auseinanderzusetzen – und mich so eben auch besser kennenzulernen.

Was ist deine grösste Angst?

Puh… nicht einfach. Vermutlich eine gewisse Einsamkeit.

Eine menschliche Ur-Angst.

Genau. Ich bin auch sicher nicht der einzige, der sich davor fürchtet oder sich manchmal so fühlt. Deshalb ist das Teilen intimer Ängste so wertvoll: Es zeigt mir und anderen, dass wir – mindestens mit diesen Ängsten – nicht allein sind.

Zurück zum «Tabula Musica Orchestra»: Du sagtest, der Entscheid zur Zusammenarbeit fiel vor einem Jahr. Das ist nicht gerade viel Zeit. Deine Musik musste schliesslich fürs Orchester adaptiert werden.

Das stimmt (lacht). Und wir hatte ja bereits das erste Konzert: am 12. Mai in Bern. In Nachhinein würde ich vielleicht mehr Zeit einplanen. Es war schon teilweise etwas hektisch – auch wegen des Pendelns unserer Band nach Bern. Aber ein bisschen Druck ist manchmal auch gar nicht so schlecht. So macht man wenigstens vorwärts.

«Tabula Musica» ist kein klassisches Orchester. Das gilt für die Musizierenden und die Instrumente. Da gibt es auch Synthesizer, Soundbeams oder ein Skoop. Wie klingt das Ganze denn nun für dich?

Für mich war das ein sehr spannender Prozess. Ich habe die Musik grundsätzlich für Gitarre und Stimme geschrieben – oder für die Band. Dieser orchestrale Sound trägt mich als Sänger nun so richtig. Ausserdem verleiht er der Musik einen Teppich, einen stabilen Boden. Gleichzeitig setzen die angesprochenen Instrumente faszinierende Highlights. Anders gesagt: Es klingt super (lacht).

Am 11. Juni spielt ihr euer zweites Konzert in der Grubenmann-Kirche. Passen deine Lieder und diese Konstellation überhaupt in eine Kirche?

Diese Frage haben wir uns natürlich auch gestellt. Die Musik passt dank des Orchesters jetzt natürlich sehr gut in eine Kirche – sie ist auch tongewaltig genug. Aber es geht nicht nur um das Gebäude: Das Konzert ist Teil eines Gottesdienstes. Und die Kirche hat, gerade historisch gesehen, ein komplexes Verhältnis zum Thema Inklusion. Durch den Dialog mit Pfarrerin Andrea Anker (siehe Kasten) konnte ein gemeinsames Verständnis rund um das Thema geschaffen werden.

Hinweis: Das Konzert wird auch in die deutschschweizer Gebärdensprache übersetzt.

Fünf Fragen an Co-Leiterin Nadine Schneider


Was unterscheidet euch von anderen Orchestern?

Das Tabula Musica Orchestra wurde vor bald sechs Jahren in Bern gegründet. Es besteht ausschliesslich aus Laien, die unter professioneller Leitung in wöchentlichen Einzel- und Gruppenproben zusammenkommen. Sie bereiten sich auf verschiedene Konzerte vor, wie zum Beispiel mit dem Sinfonieorchester Biel Solothurn, oder eben mit Max Berend. «Tabula Musica» als Kompetenzzentrum für barrierefreie Musik wurde zeitgleich gegründet, um den Zugang zum Musizieren für alle, insbesondere für Menschen mit einer Behinderung zu ermöglichen.

Was sind die grössten Herausforderungen beim Schreiben, Einstudieren und späteren Aufführen eurer Stücken?

Wir gehen davon aus, dass ein Mensch nicht behindert ist, sondern behindert wird durch äussere Rahmenbedingungen. So passen wir diese Rahmenbedingungen an, wo es das braucht. Das heisst, dass die Stücke genau auf die Fähigkeiten jeder Person, ob mit oder ohne Behinderung, zugeschnitten, bzw. arrangiert werden. Oder dass wir eben barrierefreie Instrumente als Zugangshilfen nutzen. Da wir diese musiktechnologischen Instrumente als Erste in die Schweiz gebracht haben, mussten wir unser Knowhow selber aneignen, was uns immer wieder vor Herausforderungen stellte. Für Konzerte, die ausserhalb von Bern stattfinden, haben wir wahrscheinlich einen grösseren logistischen Aufwand als andere. Das grösste Problem ist oft, dass die Bühne nicht rollstuhlgängig ist. Das zeigt auch auf, wie Musizierende mit Behinderungen einfach nicht mitgedacht werden. Wie in so vielen anderen Bereichen.

Warum passt ihr und Max Berend zusammen?

Max Berends Musik eignet sich sehr gut für eine Zusammenarbeit, da seine Musik von gewissen Strophenformen lebt, die sich wiederholen. Das lässt sich gut vereinbaren mit den musiktechnologischen Instrumenten. Ausserdem gibt es in seiner Musik schöne Klangflächen und das ist genau die Spezialität von Tabula Musica, da wir viel mit Sounddesign arbeiten. Zudem waren wir neugierig, wie seine folkige und akustische mit unserer elektronischer Klangwelt kombiniert werden kann.

Auf eurer Website bin ich auf Instrumente gestossen, die ich nicht kenne. Was sind ein «Skoog» oder ein «Soundbeam»?

Musiktechnologische Instrumente wie der Skoog oder der Soundbeam kommen aus dem englischsprachigen Raum und sind da unter «Accessible Music Technology» bekannt. Diese gibt es teilweise schon seit 30 Jahren. Solche Instrumente wurden für und von Menschen mit Behinderungen entwickelt, um Barrieren abzubauen und Zugang zum Musizieren zu ermöglichen. Der Skoog ist ein weicher Würfel mit 5 Knöpfen, die man mit beliebigen Klängen programmieren kann. Beim Drücken der Knöpfe entsteht der Ton. Der Soundbeam funktioniert unter anderem durch Sensoren, die Bewegung in Töne übersetzt. So kann beispielsweise nur mit dem Augenaufschlag musiziert werden.

Und was ist Ihre musikalische Geschichte?

Meine musikalische Geschichte endet mit dem Gitarrenunterricht während meiner Gymizeit. Ich bin Sonder- und Sozialpädagogin und setze mich seit jeher ein für die Inklusion, die Gleichberechtigung und die Teilhabe von Menschen mit Behinderungen. Mit meinem Mann Denis Huna, der selber klassisch ausgebildeter Violinist ist, haben wir Tabula Musica ins Leben gerufen, um uns im Bereich Musik und Kultur für das Thema Inklusion einzusetzen.  tiz

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